TEMPIO PAUSANIA

von Richard Seewald

Frutti di mare

Eine reise durch Häfen und Inseln

mit 108 zeichnungen

Berlino, Volksverband der Bücherfreunde

1933

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Sondergenehmigung für Gallura Tour

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Und hier finden Sie eine Übersicht über seine Kunstwerke

Wir durchfahren einen weißen Ort [Aggius], wo schwarz gekleidete Männer und Frauen auf dem Platz umher stehen, und rasseln bei voller Nacht auf den Marktplatz von Tempio, unserem heutigen Reiseziel.

Dieser Platz ist taghell erleuchtet. Viele schwarze Gestalten wimmeln auf ihm und drängen sich um das ankommende Auto. Einige Knaben tragen unsere Koffer vor uns her in ein Privathaus, denn ein richtiges Hotel gibt es hier nicht.

Man tritt, wie in die anderen Häuser, wie ich auf dem kurzen Wege bemerkte, sogleich von der Straße in den ebenerdigen Raum, der als Wohn-, Schlafraum und Küche dient. Zwei alte Frauen führen uns eine enge Steintreppe hinauf, vorbei an geheimnisvollen offenen Türen, vor denen Vorhänge schwebend sich bewegen. Unser Zimmer ist sehr klein. Es enthält zwei eiserne Betten und einen winzigen eisernen Waschständer. Die Wände sind giftgrün gestrichen, die Decke ebenso giftig blau, dazwischen läuft ein breiter, chromgelber Streifen rundherum.

Über dem einen Bett hängen zwei Bildnisse des heiligen Antoníus, über dem andern eine wahre Seifter-photographie: die dilettantische Kreidevergrößerung eines jungen Mädchens, wahrscheinlich gestorben, denn unter dem Glas befindet sich als Reliquie auch noch ein abgeschnittener Zopf mit rosa Haarschleife. Die Tür ist nicht zu verschließen, sondern nur mit einem Haken zuzuhalten. Glücklicherweise sind die Betten sauber bezogen.

Nach Unterbringung des Gepäcks machen wir uns auf den Weg zum Marktplatz. Dort sehen wir jetzt an der Wand eines der den Platz begrenzenden Häuser eine rot ausgeschlagene Tribüne errichtet, mit Trikoloren und Palmen geschmückt und mit Ketten von elektrischen Lampen behängt. Auf ihr singen abwechselnd zwei Männer und eine Frau sardische Lieder zur Begleitung einer Gitarre, die man aber kaum hört vor dem Summen der Stimmen auf dem Platz, der dicht gedrängt voll Menschen ist.

Der Gesang aber erhebt sich hoch über dies Getümmel in näselndem Falsett, so dass es schwer ist, die Männerstimmen von der Frauenstimme zu unterscheiden. Wenn der Gesang schweigt, prasselt Beifall über den Platz. Ans erscheint er mehr merkwürdig als schön, und schöner erschien uns später das Lied eines heimwärts kehrenden jungen Mannes in der Nacht, als wir schon in den Betten lagen.

Tempio besteht aus fast ausschließlich zweistöckigen Häusern aus regelmäßigen, weißlich grauen Granitblöcken errichtet. Vor dem ersten Stockwert hängen schmiedeeiserne Balkone. Das Dach kragt ziemlich weit vor und hat schön gebautene Steingesimse, so dass diese Häuser den Eindruck von kleinen Miniaturpalästen machen.

Inmitten der Stadt liegen auf einem Platz, zu dem man auf einer Anzahl Stufen emporsteigt, zwei Kirchen, die gleichfalls durch die strenge Schichtung aus den geschnittenen Steinen über ihren Stil täuschen. Man ist versucht, ihn viel früher anzusetzen, als er wirklich ist.

Rings um die Kirchen sind Verkaufs- und Schießbuden errichtet, und an den Straßeneden umlagern die Kinder die Blöcke von türkischem Honig, eine süße Paste mit Nuß- und Mandelkernen.

Es ist heute nämlich der große Feiertag der Bauern, und ihr Schutzpatron, dem die kleinere Kirche geweiht ist, wird geehrt durch Schmuck seines Hauses, Messen und eine Prozession, in der sein Bild durch die Stadt getragen wird.

Auf dem Postament zu seiner Linken ist ein kleiner Engel dargestellt, der einen Pflug mit zwei weißen Ochsen lenkt (wieder treten mir also hier die Rinder alle bedeutsam für Sardinien vor Augen). Vor dem Erdgeschoss hängen schmiedeeiserne Balkons der Statue des Heiligen, schreiten Kinder mit von bunten Bändern umwundenen goldenen Ährenbüscheln.

Die Bauern, die zu ihrem Fest zahlreich in die Stadt gekommen sind, tragen fast alle noch ihre sardische Kleidung: in dieser Region schwarz, und bei Männern und Frauen eigentlich charakteristisch nur in der Kopfbedeckung.

Sie besteht bei den Männern aus einer gestrickten Mütze, die ein langer Schlauch ist, dessen zipfeliges Ende entweder rechts oder links vom Gesicht lang herunterhängt oder der, zweimal auf dem Kopf zusammengelegt, seinen Zipfel nach vorn über die Stirn ragen lässt in der Art der phrygischen Mützen.

Bei den Frauen besteht sie aus einem schwarzen Kopftuch, das lang sackartig über den Rücken hängt. Eigentlich ist es nur einer der faltigen, langen Kleiderröcke, der, mit dem Bund auf den Scheitel gelegt, als Kopftuch Verwendung findet.

Diese schwarzen Gestalten, von denen die Frauen von rückwärts gesehen fast wie Orientalinnen aussehen, verstärken noch, wenn sie in den niederen, weißen Straßen umhergehen, den Eindruck von Ernst, Strenge und Melancholie, der über ganz Sardinien liegt.

Abendspaziergang

Wir sind durch die engen Gassen zwischen den steingeschnittenen Häusern hinausgelangt plötzlich ins Freie. Eine windverwehte Allee führt auf dem Rücken eines Hügels zu den schwarzen Zypressen, die über die hohe Mauer des Kirchhofs ragen. Die Häuser liegen etwas tiefer als der Weg, niedrig hingekauerte, viereckige Klötze, wie mit dem Meißel aus einem Block Granit gehauen.

Über sie weg sieht man die weite heroische Landschaft abendlich verdämmern. Schwarz stehen die Korkwälder auf den nahen Hügeln, und weiß schimmern von fern, sehr fern, spärliche Dörfer. Gegen den Himmel zart sich, unglaublich kühn, eine erstarrte Welle, die blaue Bergkette.

Hinter uns kommt aus der engen Straße ein Bauernpaar vom Fest. Der Mann führt sein Pferd am Zügel und tränkt es an einem Brunnentrog, in dessen stillem Wasser sich der helle Abendhimmel spiegelt. Dann steigt er auf, und seine Frau schwingt sich vom Brunnenrand nach Landessitte hinter ihn auf die Kruppe des Tieres. So reiten sie hügelab in die Dämmerung hinein. Als das Klappern der Hufe verhallt, ist es ganz still.

Wir steigen links einen leichten Abhang hinauf, wo aus ockergelber Grasfarbe grau und flach gewölbt wie Elefantenrücken der nackte Fels hervorschaut, und stehen plötzlich vor urweltlichen Bauten: roh aus Steinen rund gefügt, bedeckt mit Rasenstücken, auf denen im Abendwind dürre Halme rascheln. Der von ihnen herwehende Gestank und leises runzeln lässt sie uns schnell als Schweinekoben erkennen. Aber sie passen so gut zur primitiven Landschaft, dass man in ihnen Wohnbauten uralter Stämme erkennen möchte, und wirklich ist ja ihre Form nicht unähnlich der der alten Nuraghen.

Richard Seewald - Schweinekoben in Tempio

Wir umgehen den Kirchhof und steigen in einem roten, ausgewaschenen Hohlweg hinab ins Land bis zu einem Wäldchen von Korkeichen, die mit ihren knorrigen, gewundenen Stämmen mehr Versteinerungen als lebenden Bäumen gleichen. Als der rote Mond über der veilchenfarbenen Säge der fernen Berge heraufsteigt, machen wir kehrt. Einsam steht jetzt der Abendstern über den Zypressen des Kirchhofs, der uns hier eine einzige rundgeschwungene Mauer zulehrt, die immer weißer wird, wie der Mond höher am Himmel emporklimmt.

Schneeweiß schimmern auch die Riesensteine und die Ställe, als wir von neuem daran vorbeigehen. Die Türen in ihnen sind zu einem schwarzen Loch geworden, schwarz sind auch die Schatten aller Dinge, die frieren.

Aus den in Dunst schimmernden Feldern aber und dem dichten Pelz der Macchia kommt der Ruf der Grillen.

Unter der rötlichen Lampe erwartet uns zum Abendbrot ein Rebhuhn, Käse und Trauben.

Wir danken der Stiftung Seewald für die Genehmigung zur Veröffentlichung der Seiten (Text und Bilder)

QUELLEN DER ABBILDUNGEN

Zeichnungen, Gemälde und Lithographien aus dem 1800er Jahren

Erennio Pedroni

Zeichnungen

von Richard Seewald

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Zeitgenössische Fotos

Matteo Aisoni – Vittorio Ruggero – Gallura Tour

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