TEMPIO

von Heinrich Von Maltzan

Reise auf der Insel Sardinien

 Leipzig 1869

Dykl’sche Buchhandlung

auf Italienisch: 

In der Hoffnung, womöglich noch mehr Originelles und Altertümliches (auch in den äußeren Erscheinungen) zu finden, trat ich den Ausflug nach der so wenig besuchten Pro­vinz Gallura an. Ihrer Hauptstadt Tempio wandten sich zu­nächst meine Schritte zu.

Sie erwies sich jedoch gar nicht so leicht und schnell erreichbar, wie ich es nach der Karte zu schließen versucht sein konnte.

Währen in gerader Linie der Weg von Osilo wenig über fünf Meilen betragen hätte, zwang mich der Mangel einer Fahrstraße zu einem sehr bedeutenden Umweg, auf dem ich eine viermal längere Streke durchlaufen sollte. Auf dieser musste ich zuerst meine Schritte wieder bis Torralba rückwärts richten, dann mich gen Osten nach dem ganz modernen, sehr industriellen Städtchen Ozieri wenden, […] endlich in einer tagelangen beschwerlichen Fahrt über schlechte Wege und felsiges Erdreich mitten durch die Gebirgsgruppe del Limbara die Reise bis Tempio wollenden; eine Exkursion, welche allein schon für den Hinweg von Sassari nach letzteren zwei volle Tage in Anspruch nahm.

Straße Limbara-Tempio
Das Interessanteste, welches dieser Ausflug bot waren nicht etwa die Einwohner der Gallura, die viel mehr am meisten von allen Sardiniern europäisiert erscheinen und den niederen Volkschaften des festländischen Italiens durchaus gleichen, sondern die geografische Bildung dieser Gegenden, welche die eigentliche Granitgruppe von Sardinien ausmachen. […]

Am Fuße einer der ausgedehntesten und höchsten Granitmassen, des Limbara, liegt die erst vor kurzem zum Rank einer Stadt erhobene große Ortschaft Tempio, der wichtigste Bevölkerungsmittelpunkt der Gallura.

Wen auch die Bewohner jetzt leider gänzlich jenem originellen Kostüm entsagt haben, welches La Marmora hier noch vorfand und folglich in ihren äußeren Erscheinungen durchaus nichts Merkwürdiges darbieten, so zeigt sich doch das Städtchen selbst durch die Bauart und das Material seiner Häuser als höchst beachtenswert.
Cominotti-Gonin-Lallemand - Tempio, 1826-1839
Dieses Material bildet ausschließlich der Granit, das einzige Gestein, welches, mit Ausnahme einiger schwacher Kalksteinlagerungen an ihrer Grenze, die Provinz Gallura besitzt. Aber diese Kalksteinlager erweisen sich so entfernt und unzugänglich für die Tempieser, dass diese es vorziehen ganz auf den aus ihnen zugewinnenden Mörtel zu verzichten, und ihre Häuser ohne dieses Bindemittel, gleich den alten Kurhagen, ausschließlich aus Stein errichten.

Da auf dem mörtellosen Granit kein Anstrich haftet, so bieten diese Gebäude das Ansehen ebenso vieler Felsenburgen, freilich nur im verkleinerten, oft sehr verkleinerten Maßstab.

Ihre Schwerfälligkeit wird noch erhöht durch die großen hölzernen Balkone, welche weit die Straße überragen und an vielen Stellen Licht und Luft ausschließen.

Palast der Unterpräfektur
Unter ihnen, selbst unter den Kirchen und öffentlichen Bauten konnte ich keines bemerken, welches sich irgendwie auszeichnete, das einzige Gefängnis vielleicht ausgenommen, welches in seiner Massenhaftigkeit und granitenen Rauheit einen beinahe schauerlichen Eindruck machte.
La Rotonda: das Gefängnis von Tempio
Die Sprache der Tempieser und des ganzen nördlichen Teils der Provinz Gallura bildet der korsische Dialekt, dem von Sassari ziemlich ähnlich […].

Das Volk gilt für das klügste, fortgeschrittenste und industriellste von ganz Sardinien. Man kann es jedoch kaum als echt sardinisch bezeichnen, da sowohl Dialekt wie Sitten und Gewohnheiten sich als italienisch erweisen.

Unweit von Tempio erhebt sich der höchste Berg der Gallura, der 5000 Fuß hohe Giugantinu, eine reine Granit­masse, deren Besteigung mir leider nicht gelingen sollte, da sowohl das schlechte Wetter als der Mangel an Führern sich meinem Vorhaben widersetzten.
Vittorio Ruggero - Punta Balistreri links, Giogantinu rechts
Giacomo Calvia - Giugantinu

QUELLEN DER ABBILDUNGEN

Zeichnungen, Gemälde und Lithographien aus dem 1800er Jahren

Giuseppe Cominotti – Enrico Gonin [design], A.J. Lallemand [gravur], Sardische Kleidung in Serie – Tempio, ca 1826-1839, IN Alberto Della Marmora, Voyage en Sardaigne, ou Description statistique, phisique… Atlas de la première partie, 1. ed. Paris, Delaforest 1826; 2. ed. Paris, Bertrand – Turin, Bocca,1839.

Postkarten und Fotos aus dem späten 19. und dem frühen 20. Jahrhundert

Sammlung Erennio Pedroni, Gianfranco Serafino, Vittorio Ruggero – Tempio Pausania

Zeitgenössische Fotos

Vittorio Ruggero – Flickr; Giacomo Calvia

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