LA MADDALENA
von Heinrich Von Maltzan
Reise auf der Insel Sardinien
Leipzig 1869
Dykl’sche Buchhandlung
auf Italienisch:
Die heutzutage so prosaisch benannte Spargelinsel (Isola dei Sparagi), auf der natürlich nie Spargel gewachsen, führte im Altertum als Nymphaea Insula einen viel schöneren Namen und die unweit von ihr gelegene Maddalena die Benennung Ilva Insula.
Erstere nördlich lassend, lenkten wir nun in den schmalen Meeresarm ein, der Maddalena von der Insel Santo Stefano trennt, und gingen bald in dem kleinen Hafen der Magdaleneninsel, Cala Cavetta genannt, vor Anker. Dort sollte der Tortoli einen halben Ruhetag machen.
Seltsamerweise sollte er hier seine kriegerische Laufbahn mit einer Niederlage, welche freilich stets obskur blieb, beginnen, einer Niederlage, von welcher wohl kaum die Geschichte reden dürfte, die aber die beredten Zeugen seiner Flucht, nämlich die in aller File zurückgelassenen Artilleriegegenstände und Instrumente, bewahrheiten. Unter Erstem befindet sich eine noch jetzt in Maddalena bewahrte Kanone, unter Letztem ein großer hölzerner Quadrant, den er beim Zielen benutzte.
Dass er das Zielen sehr gut verstanden haben muss, verbürgt die Tradition des Volkes, welche noch jetzt viele der in den damals bewohntesten Vierteln gelegene Stellen angibt, wohin seine mörderischen Explosionskugeln drangen. Von diesen Kugeln kann man noch mehrere in Maddalena bewahrt sehen, eine sogar auf dem Gipfel eines pyramidenförmigen Denkmals, das die Niederlage des größten Feldherrn der Welt vor dem kleinen und schwachen Maddalena-Städtchen verewigt. Damals bildete es nämlich noch eine Festung, freilich wohl nur vierten Ranges. Jetzt hat man jedoch die Fortifikationen nicht nur gänzlich aufgegeben, sondern auch um Spottpreise verkauft, so dass zum Beispiel ein ganzer Festungsturm für 300 Franken erstanden wurde.
In so geringer Entfernung von dem Wohnort des modernen Cincinnatus, der von Maddalena nur durch einen schmalen Meeresarm getrennten Ziegeninsel, konnte ich natürlich der Versuchung nicht widerstehen, die Wohnung des Mannes zu sehen, dessen Name seit Jahren die Zeitungen der ganzen Welt füllt. Der gute Kapitän Sitzia, der selbst seinem Lieblingshelden einen Besuch abstatten wollte, bot mir hierzu durch sein Anerbieten, mich mitzunehmen, die beste Gelegenheit.
Wir schifften uns also auf der leichten Ruderbarke des Tortoli ein, die uns an der sehr kleinen Garteninsel (Isola dei Giardini) vorbei und in halbstündiger Fahrt nach dem Granitfels von Caprera trug.
Ein Engländer namens Colens [Collins], dessen Witwe (eine sehr originelle und, wie man mir sagte, etwas verrückte Dame) noch jetzt ein einsames Haus auf der Magdaleninsel bewohnt, hatte freilich schon vor Garibaldi einen Teil der Insel angekauft, seine Ausbeutung jedoch auf Viehzucht beschränkt. Der Engländer erlag bald dem keineswegs gesunden Klima dieser Inseln und seine Witwe teilt jetzt den Besitz von Caprera mit dem berühmten Mann, denn außer diesen beiden gibt es hier keine Grundeigentümer.
Übrigens hatte ihn Sitzia auch krank und von seinem gewohnten Rheumatismus, jener in Sardinien so sehr verbreiteten und oft sehr bösartigen Krankheitsform, schwer geplagt im Bett angetroffen. Dennoch versicherte mir der Kapitän, dass der selbst gegen die wildfremdesten Besucher zuvorkommende Mann mich gewiss empfangen haben würde. Hätte er doch neulich sogar eine schreckliche Engländerin vorgelassen, eine fanatische Methodistin, die eigens nach Caprera gekommen war, um ‒ wie sie sagte – „Garibaldis Seele zu retten“. Dieses sollte durch einige Dutzend von Traktätlein bewerkstelligt werden, von denen sie ihm eines sogar vorlas. Und der gutmütige Mann hatte die Geduld, sie anzuhören, und die Gefälligkeit, sie noch nach Kräften gut zu bewirten.
Nebenbei soll der so wenig misstrauische Mann nicht selten das Opfer von Schwindlern werden, die sich für seine wärmsten Anhänger ausgeben, ihm unter irgendeinem Vorwand Geld ablocken und dann spurlos verschwinden.
Nach der Magdaleninsel zurückgekehrt, fanden wir den Tortoli schon zur Abreise bereit und sein mit mir an Bord gekommener Kapitän erteilte bald das Signal zur Fortsetzung des Periplus, der ihn in südlicher Richtung der Ostküste Sardiniens entlang nach Cagliari zurückführen sollte.
QUELLEN DER ABBILDUNGEN
Zeichnungen, Gemälde und Lithographien aus dem 1800er Jahren
Sammlung Luzzietti, “Insulaner von La Maddalena”, ca 1795-1805, IN Francesco Alziator, La collezione Luzzietti: raccolta di costumi sardi della Biblioteca universitaria di Cagliari, De Luca 1963, Zonza 2007.
Nicola Benedetto Tiole, “Einwohner von La Maddalena”, 1819-1826, IN Nicola Tiole, Album di costumi sardi riprodotti dal vero (1819-1826), saggi di Salvatore Naitza, Enrica Delitala, Luigi Piloni, Nuoro, Isre 1990.
Henri Félix Emmanuel Philippoteaux, Napoleone Bonaparte, 1835.
“Archipendolo”, IN Alberto La Marmora, Itinerario dell’isola di Sardegna, Torino 1860.
Postkarten und Fotos aus dem späten 19. und dem frühen 20. Jahrhundert
Sammlung von Antonio Frau – La Maddalena
Zeitgenössische Fotos
Archipel de La Maddalena, von Nello Anastasio – Flickr
“Napoleon – Bomben”, im Rathausgebäude La Maddalena, foto von Antonio Frau
Haus Collins, von www.lamaddalena.info
Daniel Ventura e Gianni Careddu, CC BY-SA 3.0 – wikimedia commons
Im Zentrum Santo Stefano, links La Maddalena, rechts Caprera, CCBY-SA 3. 0 – wikimedia commons