TAVOLARA

von Heinrich Von Maltzan

Reise auf der Insel Sardinien

Leipzig 1869

Dykl’sche Buchhandlung

auf Italienisch: 

von Federico Gandolfi
Insel Tavolara, der Hermaea Insula der Alten. Hier erfuhr ich zu mei­nem Staunen, dass Tavolara noch vor kurzem einen eigenen König besessen habe und dass dieser sogar von Carl Albert auf seiner letzten Reise in Sardinien besucht und mit dem königlichen Namen begrüßt worden wäre.

Ein bisschen Iro­nie mag wohl auch bei solcher Begrüßung im Spiel gewesen sein, aber der „König von Tavolara“ ließ sich diese von sei­nem Oberlehnsherren gutmütig gefallen und bot ihm sogar seine Dienste als Führer zur Jagd an.

Dieser „König von Tavolara“, ein gewisser Giuseppino aus Maddalena, der seine Heimat wegen einiger kleiner Schwierigkeiten verlassen hatte, die er ‒ als in offenkundiger Bigamie lebend ‒ mit der Justiz gehabt, war zu Anfang die­ses Jahrhunderts nach dem damals ganz unbewohnten Tavo­lara gekommen, von dem er Besitz nahm und hier die eine seiner Gattinnen installierte, während er die andere nach der nördlich von Maddalena gelegenen Marieninsel brachte. Er selbst hielt sich abwechselnd auf beiden Inseln auf, die außer ihm keinen Grundeigentümer besaßen.

Giovanni Marghinotti - König Carlo Alberto, 1842 (gemalt im Rathaus von Tempio Pausania, Foto von Franco Pampiro)
Nicola Tiole - Einwohner der Insel Magdalaine, 1819-1826
Mikołaj Kirschke - Der Sarkophag von Paul I., 2. König von Tavolara
Da aber das vierein­halb deutsche Meilen im Umfang zählende Tavolara un­gleich bedeutender als die Marieninsel war, so erhielt er nach jenem seinen Königstitel, der ihm anfangs nur als Spottname beigelegt, später aber von ihm selbst allen Erns­tes adoptiert wurde. Es mag in der Tat vielleicht im homeri­schen oder im biblischen Altertum Könige gegeben haben, die weniger Land besaßen als Giuseppino. Dieser wurde bald in seiner Art ein reicher Mann und jetzt gehört die gan­ze Insel seinen Kindern, die höchst wohlhabende Leute sind.
Wappen der Familie Bertoleoni
Die Insel Tavolara besteht aus einer einzigen großen Kalksteinmasse der Kreideperiode, deren bedeutendster Gip­fel einige 1400 Fuß Höhe messen mag. Außer den Kindern des „Königs von Tavolara“ wohnt hier kein menschliches Wesen. Auf den Bergen treibt sich eine Herde verwilderter Ziegen umher, die von vielen für wirklich wild gehalten worden sind, dies jedoch nach La Marmora nicht sein sollen.

Die Ziegen verwildern zwar sehr schnell, wie wir dies unter anderem auch an den von Garibaldi erst vor 14 Jahren auf Caprera freigelassenen gesehen haben, aber die Verwilde­rung derjenigen von Tavolara muss doch ungleich älteren Datums sein, da sie Zeit hatte, sogar die äußere Gestalt die­ser Tiere in einigen Einzelheiten zu modifizieren, was be­kanntlich nicht das Werk einer Generation zu sein pflegt.

Diese Einzelheiten sind die längere Form der Hörner, die leichtere, sehnigere Gestalt und die eigentümliche goldglän­zende Farbe ihrer Zähne, die der Franzose Valery bis zu einem vergoldeten Schnurrbart hyperbolisiert und die La Marmora mit vieler Wahrscheinlichkeit dem Einfluss ihrer Weidekräuter zuschreibt. Die Jagd auf sic bietet große Schwierigkeiten, ebenso gut wegen ihrer mit der Gämse wetteifernden Geschwindigkeit als wegen der Unzugäng­lichkeit der Berge.

Im Süden der Insel Tavolara kamen wir an einer anderen vorbei, die ‒ jetzt Molara genannt ‒ im Altertum Bucciana hieß, und zwar, wie einige behaupten, wegen ihrer Ähnlich­keit mit einer Muschel.

luoghi.italianbotanicaltrips.com
Bon Alvise79 - Tavolara und Molara
von Maurizio Arca
Die Küste, die sich nun in beinahe direkt südlicher Linie hinzog, bot einen wilden, jedoch male­rischen Anblick. Die nahe Kalksteinmasse des Monte Albu schien nur eine Wiederholung des zackigen Berges von Tavolara.

Die Granitgruppe des die Küste von fern beherrschenden Monte Nieddu (d.h. des schwarzen Berges) zeigte sich bedeckt von einem Wald stämmiger Eichen, in dem man leider schon vielfach gelichtete Stellen entdeckte.

von Olive Titus - Berg Nieddu

QUELLEN DER ABBILDUNGEN

Zeichnungen, Gemälde und Lithographien aus dem 1800er Jahren

Giovanni Marghinotti, König Carlo Alberto, 1842, IN Stadtpalast von Tempio Pausania, foto von Franco Pampiro

Nicola Benedetto Tiole, “Insulaner von La Maddalena“, 1819-1826, IN Nicola Tiole, Album di costumi sardi riprodotti dal vero (1819-1826), Nuoro, Isre 1990.

Zeitgenössische Fotos

Federico Gandolfi – Flickr, www.unsardoingiro.it, luoghi.italianbotanicaltrips.com, alvise79 – CC BY-SA 3.0 wikimedia commons

Maurizio Arca – Flickr, Olive Titus – Flickr

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